WAS IST EIGENTLICH ORAL HISTORY? Was erfahren wir aus den Interviews über die Speziallagergeschichte - was erfahren wir nicht? Der Historiker Alexander von Plato hat die Methode der Oral History (mündlich überlieferte
Geschichte) entwickelt.
Für ein deutsch-russisches Forschungsprojekt zur Geschichte sowjetischer Speziallager haben Alexander von Plato und die Dokumentarfilmerin Loretta Walz 1995-1996 viele Interviews
mit ehemaligen Speziallager:insassinnen geführt.
Die meisten der Interviewpartner:innen hatten die Inhaftierung als Jugendliche erlebt. In den
1990er Jahren berichteten sie als Rentner:innen über diese Zeit. Viele von ihnen sprachen
dabei zum ersten Mal über ihre Erfahrungen.
Was ist eigentlich ORAL HISTORY? „Wir wollen eigentlich gerade wissen, wie haben die Leute diese Geschichte erlebt, diese
spezielle Geschichte (…), und wie haben sie sie verarbeitet.“
Transkript Wörtlich übersetzt heißt Oral History mündliche Geschichte wie wir wissen, und man müsste
ergänzend noch dazu sagen, eine mündlich erzählte und aufgezeichnete Geschichte. Ich setze
diese in den Zusammenhang verschiedener Quellen in der Historiografie. Die klassische
Geschichtswissenschaft stützt sich ja für die neuere Zeit auf Verwaltungsakten, überwiegend,
und überhaupt auf schriftliche Zeugnisse, bildhafte kamen dazu, manchmal auch archäologische,
sogar für die Neuzeit, denkt man an Dresden. Wenn man sich diese Quellen, diese klassischen
Quellen, genauer anschaut, dann entsteht daraus ein Übergewicht von offiziösen Sichtweisen,
die uns überliefert werden, und die wir analysieren. Nun ist das aber gerade für Diktaturen,
überhaupt für autoritative Herrschaften, Herrschaftsformen, so eine Sache. Wir wollen ja
eigentlich gerade wissen, wie haben die Leute diese Geschichte erlebt, diese spezielle
Geschichte erstmal in diesem Falle, und wie haben sie sie verarbeitet. Das heißt, wir ordnen,
oder ich ordne zumindest die Oral History in den Rahmen von Erfahrungsgeschichte ein. Und
dieses ist eine… Und da muss man weiter zurückgreifen, ist ja nicht neu. Und ich erwähne hier
nur, dass ich, in gewisser Weise, Wilhelm Dilthey folge, der für die Geschichtswissenschaft
eine Loslösung von den eher naturwissenschaftlichen Methoden gefordert hat und eine eigene
Erfahrungsgeschichte, er hat diesen Begriff geprägt, in meinen Augen und meines Wissens. Und
dem folge ich in gewisser Weise. Die Geschichtswissenschaft wäre nicht nur dürr und
langweilig, sie wäre auch an einem der wichtigsten Elemente von Überlieferungen
vorbeigegangen, nämlich an den Menschen. Und hier setzt die Oral History als Teil einer
solchen Erfahrungsgeschichte an. Die Menschen, die normalerweise keine Zeugnisse hinterlassen
für die Geschichtswissenschaften, die werden in ihr Recht gesetzt, in das Recht, in der
Geschichte aufzutauchen und damit in den Geschichtswissenschaften.
Was sind die Unterschiede zwischen Interviews und anderen Quellen? „…die Leute lügen ja vielleicht und sie müssen es schönreden.“
Transkript Der Hauptvorwurf an die Oral History ist, sie ist immer nur subjektiv. Oder es ist nicht nur
subjektiv, sondern die Leute lügen ja vielleicht und sie müssen es schönreden. Ja, natürlich,
das wissen wir alle. Deshalb geht es um die Analyse. Es geht nicht nur um die Schaffung von
solchen Quellen, sondern es geht ja um Analyse, und dann nimmt man natürlich quellenkritisch
alle diese Dinge in Kauf. Die Dinge, die notwendig sind, aber eben viel Arbeit verlangen. Und
wir müssen eben deshalb diese Verarbeitungsfrage immer, meiner Ansicht nach, zentral haben.
Das heißt, es sind Quellen von heute, es sind subjektive Quellen. Ja, darum geht es. Es geht
um das Subjekt. Es sind subjektive Quellen, und es sind Quellen, die eine eigenständige
Analyse und Kontextualisierung verlangen.